Dreifaltigkeit

IMG_5854Letztes Wochenende verschlug es uns in die Nähe von Appenzell in der Schweiz. Dort beginnt der Weg in die Berge und führt den Wanderer in ein schönes Tal, das am Fuße des Marwees endet. Kurz unter dessen Gipfel  befindet sich eine gigantische Felsformation, an der man als Highliner nicht ohne den Wunsch, dort eine Highline zu spannen, vorbeigehen kann: die Dreifaltigkeit. Bernhard hatte schon zweimal den Versuch unternommen, diesen Wunsch wahr werden zu lassen, was jedoch beide Male scheiterte. Doch so einfach wollte er nicht aufgeben und stellte kurzerhand ein neues Team zusammen. Schließlich waren wir eine Truppe von sechs Highlinern: Bernhard, Chris, Sam, Mike, Fabi und ich. Am Donnerstag ging es in Zürich los. Essen einkaufen, den Bus packen, die letzten Sachen organisieren und schon waren wir auf der Autobahn. Noch waren wir nur zu dritt, die anderen sollten im Laufe des Tages noch zu uns stoßen. An unserem Parkplatz angekommen teilten wir uns auf. Sam musste auf den Materialtransport warten und Bernhard und ich wollten schonmal zur Dreifaltigkeit aufbrechen. Doch dafür den gleichen Weg zu nehmen wäre schon sehr einfach gewesen. Bernhard nahm die Bahn und ich ging zu Fuß, ein bisschen Individualismus muss auch mal sein. DSC04203Der Weg beginnt sehr steil und führt am Sämtisersee vorbei in ein langes Tal. Von dort an fragte ich mich ständig, welche dieser zahlreichen Highlinemöglichkeiten wohl unser Spot sein würde. Bald schon sah ich von der Seite drei Felstürme, die inmitten einem langen, steilen Grashang emporragten: unser Ziel. Oben angekommen wartete Bernhard schon voller Tatendrang auf mich und wollte sich trotz einbrechender Dunkelheit nicht davon abbringen lassen, den letzten Fixpunkt noch zu bohren. Der Zustieg war nicht ganz einfach. Zuerst quert man einen, für meinen Geschmack zu steilen, Grashang, arbeitet sich dann auf den Gipfel der westlichen Dreifaltigkeit vor und muss sich von dort aus circa 30m einen schmalen Grat abseilen. Nicht ohne Gewissensbissen musste ich Bernhard bei dieser Aufgabe allein lassen, da ich an soetwas wesentliches wie eine Stirnlampe beim Packen nicht gedacht hatte. Darum machte ich mich auf den Weg zu unserem Nachtquartier, wo Sam schon auf mich wartete.

Am nächsten Morgen sollte es schon früh losgehen. Aus acht wird zehn, aus früh wird spät, so ist das eben. Inzwischen zu viert, da Mike am Abend zuvor noch zu uns gefundenen hatte, machten wir uns auf den einstündigen Aufstieg. Oben angekommen teilten wir uns in zwei Teams auf. Bernhard und Sam nahmen sich den südlichen Turm vor und Mike und ich machten uns an dem westlichen zu schaffen. Leider wurde die Kletterei nicht so einfach, wie wir sie uns vorgestellt hatten. Die Beschaffenheit des Felses lässt sich am besten mit einem Schutthaufen vergleichen, wodurch das Legen eines Keiles nahezu unmöglich wurde und man sich mit provisorischer Sicherung, wie auf rohen Eiern laufend die Wand hinauf zittert. Endlich oben angekommen, ging es auch gleich mit dem Aufbau der ersten Line los, dummerweise mit der, die vom südlichen zum westlichen Turm führt, was Mike und mich erstmal arbeitslos machte. Uns stand ein entspannter Tag auf gut zwei Quadratmetern Bewegungsspielraum bevor. Doch was spricht dagegen sich die Sonne auf den Wanst scheinen zu lassen? Eben, nichts! Kurz nach Sonnenuntergang hatten wir schließlich unseren großen Auftritt, nachdem die erste Line fertig aufgebaut war. Mit der Hilfe von Chris und Fabi, die plötzlich entgegen aller Vermutung auftauchten, richteten wir die Verbindung und beide Fixpunkte ein, bevor wir uns abseilten und zu unserem Schlafplatz zurückkehrten.

Tags darauf machte ich mich vor den anderen allein auf den Weg zu den Lines, um mein Glück bei der 70er zu versuchen. Was jetzt passierte, hatte ich so nicht erwartet. Ich setzte mich auf die Line und hatte Respekt. Respekt vor der Höhe, der Ausgesetztheit und der Bedrohung, die dieser Spot ausstrahlte. Mit zitternden Knien stand ich auf und machte meine ersten Schritte. Das war mir schon lange nicht mehr passiert. Auch während meinem Lauf konnte ich mich nicht so recht entspannen und hatte nicht nur mit dem Wind, sondern auch noch mit mir zu kämpfen. Den eigentlichen Plan, die Line bis zum Gehtnichtmehr zu bouncen, musste ich erst einmal zurückstellen und entspannte mich zunächste einige Minuten, bevor ich mich auf den Rückweg machte. Als ich mich das erste Mal umdrehte entfuhr mir ein leises „Leck!“. Mir erbot sich ein Ausblick, den ich auf Highlines bisher selten erlebte. Vorbei an dem Felsturm, an dessen oberer Ecke die Line befestigt war, erstreckte sich das Tal in seiner ganzen Schönheit. Es fällt schwer, das Gefühl, das einen in so einem Moment durchfährt, zu beschreiben. Sagen wir es so, in diesem Moment weißt du, dass es richtig ist, was du gerade machst. Bis zum Ende unseres Trips gelang es mir, mich immer mehr mit der Line anzufreunden und begann meine Spielchen mit ihr zu treiben.

Und kaum ist man so richtig angekommen, muss man schon wieder fahren. Der Weg zurück zum Bus war eine wahre Tortur. Bei der Anreise hatten wir einen Materialtransport bis zu Bollenwees Hütte, der uns für den Heimweg leider verwehrt blieb. So viel Material wie möglich auf einen kleinen Wagen gespannt und den Rest auf den Schultern machten wir uns auf den Weg.

Die Heimreise verlief nahezu reibungslos. Abgesehen von dem (vermutlich) ausgefallenen Turbo, der uns zwang mit 70km/h bei Vollgas über die Autobahn zu „rasen“, dem Umherirren durch das zürcher Einbahnstraßenlabyrinth, der ausgefallenen Bordtoilette im Bus, der abgerissenen Tür des Gepäckladeraums und jeder Menge Wiesenbesucher war es eine ereignislose Reise.